Donnerstag, 31. Juli 2008

Bestimmt Adipositas die Autogröße?

Das folgende Zitat stammt aus einem aktuellen Artikel im ECONOMIST zur Unzufriedenheit der Amerikaner mit dem wirtschaftlichen Zustand ihres Landes.

Die Benzinpreise schmerzen fast jeden, auch trotz ihres Rückgangs in den letzten Tagen. Adam Julch, ein enormer früherer College Football Star, jetzt Manager einer Logistikfirma in Omaha, Nebraska, beklagt sich darüber, dass er seinen Pickup gegen einen kleinen Honda Civic einwechseln musste. “Ich wiege 160 kg", sagt er, "ich fühle mich wie in einem Clown-Gefährt".

Zwei Aspekte dieses Zitats verdienen einen Kommentar:

1) Ja, größere Leute brauchen größere Autos, um sich durch die Gegend zu bewegen - mehr "gewichtige" Leute könnte bedeuten, dass es mehr große Wagen gibt. Das ähnelt der Vorstellung, dass es nicht die großen Portionen in Restaurants sind, die zu Adipositas führen, sondern eher ist es die Adipositas, die größere Portionen in Restaurants veranlasst (ja, größere Menschen brauchen mehr Kalorien und haben allgemein einen größeren Appetit als dünne Leute) - daher müssen die Restaurants die Portionen groß genug machen, damit selbst ihre hungrigsten Kunden satt werden.

2) Die Tatsache, dass es sich hier um einen früheren Athleten handelt, wie bei vielen meiner übergewichtigsten Patienten, zeigt dass selbst Leistungssport nich vor einer späteren Adipositas schützt.

Das ist genug Nahrung fürs Nachdenken! Freue mich über Kommentare.

AMS
Dushesnay, Quebec

Dank an Michael Dwyer, der mich auf dieses Zitat aufmerksam machte.

Mittwoch, 30. Juli 2008

Genauigkeit des BMI für die Adipositas-Diagnose

Der Body Mass Index (BMI) wird im Augenblick breit als das beste Maß für Adipositas empfohlen und verwendet, von der Öffentlichkeit und in klinischen Studien. Er geht auf den belgischen Statistiker Adolphe Quételet zurück, der diesen Index zwischen 1830 und 1850 als eine Möglichkeit beschrieb, den Adipositasgrad bei Menschen mit bewegungsarmer Lebensweise zu charakterisieren.

Aber wie exakt ist dieser Index wirklich, um Personen mit übermäßigem Körperfett zu identifizieren?

Dieser Frage ging kürzlich Abel Romero-Corral mit Kollegen von der Mayo Clinic (MN/USA) nach. Er analysierte die Beziehung zuwischen BMI und Körperfettprozenten (body fat percent, BF%), gemessen durch bioelektrische Impedanz bei 13601 Personen zwischen 20 und 79,9 Jahren (49% Männer) aus dem dritten NHANES (National Health and Nutrition Examination Survey;Int J Obesity).

In dieser Studie definierten die Autoren Adipositas auf Basis des Referenzstandards der World Health Organization (WHO), der bei BF% >25% für Männer und bei >35% für Frauen liegt.

BMI-definierte Adipositas (>=30) wurde bei 19% der Männer und 25% der Frauen nachgewiesen, die BF%-definierte Adipositas bei 44% der Männer und 52% der Frauen.

Ein BMI>=30 hatte eine hohe Spezifität (Männer = 95%, Frauen = 99%), aber eine geringe Sensitivität (Männer = 36%, Frauen = 49%) für den Nachweis der BF%-definierten Adipositas. Das bedeutet, dass zwar die BMI-Definition die große Mehrheit der Männer und Frauen mit vermehrtem Körperfettgehalt identifiziert, dass sie aber auch eine signifikante Zahl von Menschen
nicht identifiziert, die prozentual einen hohen Körperfettgehalt haben und nach BF%-Definition als adipös einzuschätzen wären.

Die diagnostische Aussage des BMI verringerte sich mit steigendem Alter, und im mittleren BMI-Bereich (25-29,9) konnte der BMI in beiden Geschlechtern nicht zwischen BF% und fettfreier Körpermasse diskriminieren.

Die Autoren schließen, dass die Genauigkeit des BMI für die Diagnose der Adipositas begrenzt ist, besonders für Personen in den mittleren BMI-Bereichen, bei Männern und älteren Menschen. Daher hat der gegenwärtig empfohlene BMI-Grenzwert von >=30 kg für Adipositas eine gute Spezifität, aber ihm entgehen mehr als die Hälfte der Menschen mit exzessivem Körperfett.

Der erschreckende Part dieser Ergebnisse ist natürlich die Tatsache, dass die Prävalenz der Adipositas in dieser Population gemessen an BF% doppelt so hoch ist! Andererseits wissen wir auch, dass der Prozentanteil des Körperfetts oder die Körperzusammensetzung alleine kein besonders verlässliches Maß für Gesundheit sind.

Ich ziehe nach wie vor meine operationale klinische Definition der Adipositas vor: das Vorhandensein von exzessivem Körperfett, das die Gesundheit bedroht oder beeinträchtigt.

Bei der großen Spannbreite der interindividuellen Anfälligkeit für Adipositas-assoziierte Gesundheitsprobleme bleibt die Diagnose der Adipositas und die Frage, ob die Verringerung des Körperfettanteils tatsächlich die Gesundheit verbessert, vorerst weiterhin eine Frage der klinischen Beurteilung.

AMS
Duschesnay, Quebec

Dienstag, 29. Juli 2008

Adipositas-Boot Camp 2008

Gestern begann das 3. jährliche Obesity Boot Camp, das vom Canadian Obesity Network (CON) und der Merck-Frosst/CIHR Obesity Chair der Universität von Laval, Quebec, veranstaltet wird. Das jährliche Boot Camp ist eines der erfolgreichsten nachwuchsbildenden Initiativen, was sich an den anhaltend begeisterten Rückmeldungen von über 50 Studenten und Berufsanfängern zeigt, die bisher am Camp teilgenommen haben.

Anders als der Name vielleicht vermuten lässt, handelt es sich nicht um ein Abnehm-Camp für Studenten mit Übergewicht (im Gegenteil ist es sogar bei der Qualität des Essens im Camp eine Herausforderung, nicht zuzunehmen), sondern das neuntägige Camp ist eine Lehr- und Netzwerk-Gelegenheit, die 24 der besten jungen Adipositas-Forscher im Land angeboten wird. Die Teilnehmer kommen in diesem Jahr von 19 verschiedenen Universitäten aus ganz Kanada.

In diesem Jahr wurde das Boot Camp wieder von Ian Janssen, Queen’s University (Kingston, Ontario) eröffnet. Er sprach über Definition und Epidemiologie der Adipositas. Abgesehen von einem prägnanten Überblick über das Thema berichtete er auch über seine Forschungsarbeiten zu den Gesundheitskosten im Zusammenhang mit Adipositas.

Neu nahm dieses Jahr Diane Finegood teil, Direktorin des CIHR Institute of Nutrition, Metabolism and Diabetes und Professorin an der Simon Fraser University (Vancouver, British Columbia), die über komplexe Anpassungen sprach. Einige zentrale Eigenschaften komplexer Systeme schließen Heterogenität, Nichtlinearität, Rückkoppelungen, Lernen, Evolution, Stochastik, Interdependenz und Emergenz ein.

Laut Finegood muss man die Adipositas-Pandemie als eine sich entwickelnde Eigenschaft beim Menschen betrachten, die sich in unserer derzeitigen adipogenen Umwelt entwickelt. Weil emergierende Eigenschaften definitionsgemäss dann entstehen, wenn Einzelfaktoren eines Systems zusammen das tun, was sie für sich allein nicht tun würden, kann man sie generell nicht über einen reduktionistischen Ansatz optimal verstehen oder angehen.

Damit wäre es auch ziemlich schwierig, verlässlich die Adipositas-Epidemie vorher zu sagen oder Lösungen zu finden, indem man individuelle Anteile unserer Umwelt erforscht (z.B. die urbane Ausbreitung) oder irgend eine Einzelkomponente der menschlichen Biologie (z.B. Genetik) isoliert betrachtet.

Ihre Quintessenz zu diesem komplexen Thema lautete: Jeder Einzelne zählt, wir müssen die Kapazitäten an die Komplexität anpassen und Erwartungen kanalisieren, Netzwerke und Teams einrichten, Wettbewerb und Feedback-Schleifen einrichten, intersektorales Vertrauen aufbauen, Verhalten beobachten, Effektivität messen und einen Ansatz über die Gesamtregierung einführen (kein einzelnes Ministerium kann das Problem lösen).

Das war wirklich ein beeindruckender Start des Obesity Boot Camp 2008.

AMS
Duchesnay, Quebec

Montag, 28. Juli 2008

Was ist Adipositas?

Keine Angst, das wird keine Diskussion darüber, ob Adipositas eine Krankheit oder "einfach" ein Risikofaktor ist. Auch geht es jetzt nicht wieder um Adipositas-Definitionen - anthropometrische oder andere. Heute geht es lediglich um eine Analogie, um das klinische Denken in Bezug auf übermäßiges Gewicht zu schärfen.

Stellen Sie sich jemanden mit einem erhöhten Plasmakreatininspiegel (einem Marker für Nierenversagen) vor. Das erhöhte Kreatinin sagt uns mit Sicherheit, dass mit den Nieren etwas im Argen liegt - nicht mehr und nicht weniger. Vom Kreatininspiegel allein können wir ableiten, dass die Nieren in ihrer exkretorischen Funktion versagen, aber warum sie versagen, das geht daraus nicht hervor - ist es eine prärenale, intrarenale oder postrenale Störung? Wir können wahrscheinlich 100 Gründe auflisten, warum die Nieren versagen könnten, und natürlich wird die Behandlung (abgesehen von ein paar sehr
grundlegenden Maßnahmen) sehr stark von der Ursache, also von der tatsächlichen Diagnose, abhängen.

In vieler Hinsicht kann man man übermäßigea Körpergewicht einfach als ein Zeichen dafür betrachten, dass etwas mit der Energie-Homöostase "nicht in Ordnung" ist. Das übermäßige Körpergewicht sagt jedoch nichts über die Ursache des Problems aus - sicher, es ist entweder eine übermäßige Nahrungsaufnahme oder reduzierter Energieverbrauch - aber das wäre genauso, als wenn man sagt, der Kreatininspiegel ist erhöht, weil die Nieren nicht ausreichend ausscheiden.

In der Tat kann ich mir eine lange Liste von Gründen denken, die zu übermäßiger Energieaufnahme oder vermindertem Kalorienverbrauch beitragen: soziokulturelle, psychologische oder biomedizinische Faktoren. Herauszufinden, was genau das Energieungleichgewicht versursacht, ist das eigentlche Problem.

Nur wenn wir den Grund für die exzessive Aufnahme finden, haben wir eine Diagnose der Ursache gestellt. Ein paar spezifische Beispiele könnten umfassen: Schlechte Mahlzeitenplanung, Druck vom sozialen Umfeld, genussvolles Zuviel-Essen, Depression, gewichtssteigernde Medikation, suchtartiges Essen (binge eating disorder), gestörtes Sättigungssignal usw. Der Punkt lautet: bis wir wissen, was das Zuvielessen versacht, können wir das Problem nicht lösen, und das wiederum heißt, so lange werden wir wenig Erfolg mit der Behandlung des Gewichtsproblems haben und müssen uns mit einem symptomatischen Zugang begnügen - "essen Sie einfach weniger"!

Genauso verhält es sich, wenn das Problem in einem Bewegungsmangel liegt. Auch hier lautet die Frage: Was genau verursacht das Problem? Wenn es durch Zeitmangel begründet ist, wird unser Vorgehen hoffentlich völlig anders aussehen, als wenn es an Rückenschmerzen oder einem Motivationsmangel liegt (einem möglichen Symptom von Schlafapnoe, Erschöpfung oder Depression). Ein "symptomatischer", aber erfolgloser Ansatz besteht darin, einfach 10 000 Schritte zu empfehlen. Das ist nicht besser, als Fieber mit kalten Wickeln zu behandeln.

Genauso wie der Begriff "Nierenversagen" nur sagt, dass etwas mit den Nieren nicht funktioniert, sagt uns der Begriff "Adipositas" nur, dass etwas mit der Energiehomöostase nicht in Ordnung ist.

Für sich genommen ist weder der Begriff "Nierenversagen" noch "Adipositas" eine richtige Diagnose - diese Termini sind nur hilfreich, wenn sie weitere Untersuchungen nach sich ziehen, was das Problem verursacht hat oder immer noch verursacht. Nur wenn wir die Ursache finden, sind wir auf dem richtigen Weg zur Problemlösung.

AMS
Edmonton, Alberta

Samstag, 26. Juli 2008

Fettleber bei Kindern ein kardialer Risikofaktor

Die nichtalkoholische Steatosis hepatis (NASH) oder Fettleber ist jetzt die häufigste Ursache für Leberkrankheiten bei Kindern.

Sie ist mit Insulinresistenz assoziiert, aber der Einfluss der NASH auf andere Komponenten des metabolischen Syndroms unklar.

In der Ausgabe vom 15. Juli berichten Jeffrey Schwimmer und Mitarbeiter, University of California in San Diego, in Circulation über ihre Ergebnisse einer Fall-Kontroll-Studie bei 150 übergewichtigen Kindern mit einer bioptisch verifizierten NASH und von 150 übergewichtigen Kindern ohne NASH.

Kinder mit NASH hatten signifikant höhere Spiegel an Nüchternblutzucker, Insulin, Gesamtcholesterin, LDL-Cholesterin, Triglyzeriden sowie signifikant höhere systolische und diastolische Blutdruckwerte als übergewichtige und adipöse Kinder ohne NASH.

Diese Ergebnisse stützen nicht nur die Annahme, dass NASH bei übergewichtigen und adipösen Kindern , wie bei Erwachsenen deutlich mit verschiedenen kardiovaskulären Risikofaktoren assoziiert ist, sondern sie zeigen auch, dass ebensowenig wie bei Erwachsenen auch bei Kindern das Gewicht allein kein verlässliches Maß für kardiovaskuläre und metabolische
Risikofaktoren ist.

Der Nachweis von NASH bei einem Kind sollte unmittelbar eine Beratung veranlassen, bei der Ernährung, körperliche Aktivität und das Vermeiden von Tabak angesprochen werden müssen, um die Entwicklung von kardiovaskulären Krankheiten und Typ-2-Diabetes zu verhindern.

AMS
Edmonton, Alberta

Donnerstag, 24. Juli 2008

Kinder-Adipositas lebt auf großem Fuße

Füße sind bemerkenswert komplexe Strukturen, die dafür entwickelt wurden, das Körpergewicht abzufedern und zu tragen. Ob Stehen, Rennen, Hüpfen, Springen oder Hickeln, die Füße machen alles mit. Schmerzende Füße wirken sich auf den ganzen Körper aus.

Interessant, über den Einfluss eines höheren Körpergewichts auf die Fußarchitektur von Kindern ist nicht viel bekannt. Dieses Wissen wäre natürlich für Orthopäden und Kinderärzte wichtig, um Fußproblemen und Adipositas vorzubeugen beziehungsweise sie zu behandeln.

Marlene Mauch und Mitarbeiter von der Universität Tübingen studierten jetzt die Fußmorphologie von normalen, unter- und übergewichtigen Kindern, von 1450 Jungen und 1437 Mädchen zwischen 2 und 14 Jahren (Int J Obesity). Sie ermittelten die Fußmorphologie mit Hilfe eines dreidimensionalen Fuß-Scanners (Pedus, Human Solutions Inc., Deutschland) während des Stehens auf beiden Füßen. 12 relevante 3D-Fußmaße wurden bestimmt, zudem Alter, Geschlecht, Körpergröße und Gewicht.

Fünf Fußtypen ließen sich identifizieren: Flache, robuste, schlanke, kurze und lange Füße. Während die normgewichtigen Kinder über jedes Alter eine fast gleichmäßige Verteilung aller Fußtypen erkennen ließen, hatten übergewichtige und adipöse Kinder häufiger flache und robuste Füße, untergewichtige Kinder dagegen eher schlanke und lange Füße.

Die Autoren resümieren, dass Übergewicht signifikante Auswirkungen auf die Fußmorphologie hat, dass darüber hinaus aber aufgrund verschiedener muskuloskeletaler Störungen auch das Risiko für Fußbeschwerden bei Übergewicht steigen. Das wiederum könnte übergewichtige Kinder davon abhalten, sich aktiv zu bewegen - dadurch wird die Gewichtszunahme noch weiter gefördert.

Eindeutig verdient die Rolle der Fußmorphologie und das Aufrechterhalten der Fußgesundheit bei übergewichtigen und adipösen Kindern und Jugendlichen mehr Aufmerksamkeit und eine eingehendere Erforschung.

Ich würde noch ergänzen, dass die sorgfältige Analyse der Fußmorphologie und die Empfehlung von geeigneten Schuhen, orthopädischen Korrekturen und Übungen Bestandteil jeder Untersuchung eines übergewichtigen Kindes sein sollte. Ein Schaden an den Füßen aufgrund einer gut gemeinten, aber ungeeigneten körperlichen Aktivität in jungen Jahren könnte lebenslange Fußprobleme nach sich ziehen, die dann zu einem wesentlichen Hindernis einer langfristigen Gewichtskontrolle werden können.

AMS
Edmonton, Alberta

Mittwoch, 23. Juli 2008

75 Millionen Dollar für die Bariatrie in Ontario

Sehr gute Neuigkeiten für Patienten mit schwerer Adipositas in Ontario: Als Teil eines 741$-Plans für eine regionale Diabetes-Strategie kündigte der Gesundheitsminister von Ontario gestern an, 75 Millionen Dollar für Bariatrische Exzellenzzentren zur Verfügung zu stellen.

In der Pressemitteilung hieß es:
„Adipositas ist einer der Hauptrisikofaktoren für Diabetes. Über 50% der Typ-2-Diabetes-Fälle in Ontario gehen mit Adipositas einher. Die Regierung erleichtert den Zugang zu bariatrischer Chirurgie, einer Methode, die den Verdauungstrakt verändert, um die Nahrungsaufnahme zu verringern. Diese 75 Mio.$-Initiative wird die Kapazität von Ontario für bariatrische Chirurgie innerhalb von zwei Jahren um ein Mehrfaches ausweiten und auch danach noch weiter steigern. In 2006/2007 wurden in Ontario 169 Eingriffe vorgenommen, und 485 Patienten erhielten Mittel für einen chirurgischen Eingriff außerhalb der Provinz.

Ontario wird die Kapazität für bariatrische Eingriffe ausdehnen durch
o bariatrische Schulung und Training von Gesundheitsberufen
o Expansion der Kapazität für bariatrische Chirurgie
o Einführen von Programmen für die prä- und postoperative Phase bariatrischer Chirurgie“
Das ist ein erstes Zeichen von Verbesserung für Einwohner Ontarios, die bis jetzt nach Süden über die USA Grenze reisen oder ihr Geld für einen privat bezahlten Eingriff zusammenkratzen mussten.

Was mir an der Mitteilung besonders gefällt, ist die Betonung auf Schulung und die Absicherung der prä- und postoperativen Phase. Wie ich schon früher im Blog geschrieben habe: bei der Adipositas-Chirurgie geht es nicht allein um die Chirurgie. Die Operation selbst ist nur ein kleines technisches Puzzleteil in einem komplexen lebenslangen Management-Plan.

Auch hat mich die Bekanntgabe sehr erfreut, weil ich glaube, dass meine Bemühungen in Ontario einschließlich meines Lobbying bei der Regierung für eine bessere bariatrische Versorgung einen Teil zu dieser Entscheidung beigetragen haben.

Wie einige Leser vielleicht wissen, war ich hier nicht nur beredt, sondern ich war auch der Ko-Vorsitzende der Health Technology Utilization Guidelines Gruppe, die vom Gesundheitsministerium in Ontario beauftragt war, Empfehlungen für die bariatrische Chirurgie in Ontario zu erarbeiten.

In diesem Dokument haben wir klar gemacht, dass die bariatrische Versorgung ein interdisziplinäres Team erfordert und eines Managements für chronische Krankheiten bedarf, statt sie als ein akutes Versorgungsproblem zu handhaben.

Da sich das Ausmaß des Problems oder der riesige Bedarf an bariatrischer Chirurgie in Ontario und anderen Regionen Kanadas in nichts unterscheidet, kann ich nur hoffen, dass diese Ankündigung rasch von ähnlichen Mitteilungen in anderen Provinzen gefolgt wird.

In Alberta haben wir viele der Komponenten schon vor Ort (wenigstens in der Region Edmonton), und natürlich würden wir sehr gern unsere Erfahrungen mit den Kollegen in Ontario teilen. Je schneller wir dieses Angebot in ganz Kanada installieren, desto besser für die zahllosen Betroffenen.

AMS
Edmonton, Alberta

Montag, 21. Juli 2008

Fördern Job-Wellnessprogramme die Diskriminierung?

Die Adipositas-Epidemie kostet die Arbeitgeber Geld. Dieses Jahr schätzte die Non-Profit Organisation Conference Board, dass adipositaskorrelierte Gesundheitsprobleme US-amerikanische Firmen 45 Milliarden Dollar jährlich kosten, durch Gesundheitsausgaben und Fehltage – mehr als Rauchen oder Alkohol.

Arbeitgeber und Krankenversicherer haben - kaum überraschend - schon lange erkannt, wie wichtig es ist, Angestellte in Richtung von Wellness-Bemühungen zu unterstützen oder sie gar damit zu „verwöhnen“. Dieser Gedanke liegt nahe: Gesündere Angestellte sind produktiver – eine gute Investition für jede Firma.

Aber wie bei jeder guten Idee liegt der Teufel im Detail. Die gesetzlichen Grenzen für gutgemeinte Wellness-Programme (besonders, wenn sie von Krankenversicherern und Kostenträgern gefördert werden) diskutieren Michelle Mello und Meredith Rosenthal von der Harvard School of Public Health in der Ausgabe des New England Journal of Medicine vom 10. Juli.

In ihrer Analyse konzentrieren sich Mello und Rosenthal auf den Einfluss der Antidiskriminierungsklauseln des US Health Insurance Portability and Accountability Act (HIPPA) of 1996, das Krankenkassen und Gruppenversicherer verbietet, auf Grundlage eines Gesundheitsfaktors zu diskriminieren.

Die allgemeine Regel besteht darin, dass niemand allein aufgrund seines Gesundheitszustandes, der genetischen Anamnese, des Nachweises der Versicherbarkeit, aufgrund einer Behinderung oder früher geltend gemachter Leistungen aus einer Gesundheitsversorgung ausgeschlossen werden oder mit höheren Beiträgen belastet werden kann als eine andere „ähnlich situierte“ Person. In diesem Kontext bezieht sich „ähnlich situiert“ nur auf eine Klassifikation auf Grundlage der Beschäftigung wie Vollzeit oder Teilzeit, nicht auf Gesundheitsfaktoren.

Im Ergebnis können Krankenversicherungen nur dann die Erstattung bei bestimmten Krankheiten oder Bedingungen ablehnen, wenn dies für alle „ähnlich situierten“ Individuen zutrifft. Diese Entscheidung basiert nicht darauf, ob die Menschen diese Gesundheitssituation tatsächlich haben oder nicht.

HIPAA soll Gesundheitsdiskriminierung verhindern, aber es erlaubt Versicherern, Mitglieder für die Teilnahme an gesundheitsfördernden Programmen zu belohnen, z.B. mit reduzierten Beiträgen, Rückzahlungen usw., aber nur so lange diese Belohnung allen Mitgliedern offen steht, also unabhängig davon, ob sie ein aktuelles Gesundheitsproblem haben. HIPAA erschwert es jedoch, diese Belohnungen daran zu knüpfen, dass ein individuelles Gesundheitsziel erreicht wird. So erlaubt es die Belohnung der Teilnahme, auch ohne jeglichen Erfolg.

In den seltenen Fällen, in denen Versicherer die Belohnung doch vom Erreichen eines Ziels abhängig machen, sind wichtige Restriktionen vorgesehen. In Fällen, in denen es aufgrund eines medizinischen Sachverhaltes „unverhältnismäßig schwierig“ oder „medizinisch nicht ratsam“ ist, dass eine Person den Gesundheitsstandard erzielt, muss ein angemessener alternativer Standard angeboten werden.

Mello und Rosenthal weisen darauf hin, das Problem mit dieser Restriktion bestehe darin, dass keine Definition der „medizinischen Bedingung“ gegeben wird. Ob von jemandem mit Übergewicht oder Adipositas erwartet werden kann, ein Zielgewicht zu erreichen, hängt völlig davon ab, ob man das vorbestehende übermäßige Gewicht als einen „medizinisch relevanten Sachverhalt“ definiert oder nicht. Das lässt die Tür weit offen für eine Diskriminierung aufgrund des Gewichts. Natürlich ist es für jemanden mit wenig Übergewicht viel einfacher, ein willkürlich festgelegtes „Idealgewicht“ zu erreichen als für jemanden, der viel abnehmen muss – und noch dazu steigt die Schwierigkeit exponentiell, das verlorene Gewicht zu halten, je mehr man abgenommen hat.

Ob Übergewicht bei einem bestimmten Menschen genetisch, psychisch, durch Komorbiditäten oder gewichtssteigernde Medikamente verursacht wurde oder einfach aufgrund ungünstiger Wahl oder Bequemlichkeit, wird wohl weiterhin diskutiert werden.

Für mich liegt das Problem nach wie vor darin, dass Arbeitgeber, Versicherer und Politiker darauf abzielen, Veränderungen beim Einzelnen bewirken zu wollen, statt die Gesellschaft insgesamt in Richtung eines gesünderen Lebensstils für jeden einzelnen zu bewegen.

Bei der gegebenen multidimensionalen soziokulturellen, psychologischen und biomedizinischen Natur der Adipositas ist es müßig, die „Henne oder Ei“-Frage zu diskutieren, und schlicht unmöglich, den einen primären Kausalfaktor herauszufinden.
Vielleicht besteht eine Lösung darin, das Gewicht als Gesundheitsmaß auszuklammern – sowohl als einen Risikofaktor als auch als ein Ziel.

Wie ich schon wiederholt diskutiert habe, kann Gesundheit über einen erstaunlich weiten Bereich des Körpergewichts bestehen, und es gibt eine große Streubreite in der individuellen Anfälligkeit gegenüber „gewichtskorrelierten“ Gesundheitsproblemen. Es gibt keine Schwelle, die für jeden richtig ist – wir haben keine Ahnung, worin ein gutes Gewichtsziel besteht, weil unsere Definitionen für ein gesundes Gewicht vollständig über Komorbiditäten und/oder funktionale Einschränkungen bei einem Individuum definiert sind oder durch versicherungsmathematische Morbiditäts- und Mortalitätsstatistiken, die umgekehrt bei Individuen nicht besonders hilfreich sind.

Ich beneide die Gesetzgeber und Politiker nicht, die dieses komplexe Thema in geltendes Recht umsetzen müssen. Ich bin froh, dass ich nur ein einfacher Kliniker bin, der Patienten hilft, ihre Adipositas zu besiegen, Schritt für Schritt.

Ich freue mich auf Kommentare über die Gesundheitsförderung und Wellness am Arbeitsplatz und den gesetzlichen Rahmen in Kanada (oder den deutschsprachigen Ländern).

AMS,
Edmonton, Alberta

Freitag, 18. Juli 2008

Zuviel-Essen ist ein Symptom

Letzte Woche bloggte ich über die Ergebnisse einer Studie, die einen Zusammenhang zwischen vitaler Erschöpfung und Gewichtszunahme zeigen konnte.

Dieser Blogeintrag veranlasste Sharon Kirkey, eine Gesundheitsjournalistin und aufmerksame Leserin meines Blogs, diesem Thema nachzugehen und die Forscher selbst zu befragen. Ihr Beitrag erschien gestern über den Canwest News Service und enthält viel mehr Details, als ich mir im Blog die Mühe machte zu schreiben.

Beispielsweise zählt Sharon die konkreten Fragen auf, mit denen Bryant und Mitarbeiter auf eine vitale Erschöpfung hin untersuchten. Ich fand sie sehr interessant, sodass ich sie hier auch aufzähle:

- Fühlen Sie sich oft müde?

- Wachen Sie nachts häufiger auf?

- Haben Sie das Gefühl, in letzter Zeit nicht viel hinbekommen zu haben?

- Glauben Sie, in eine Sackgasse geraten zu sein?

- Fühlen Sie sich in letzter Zeit lustloser als sonst?

- Bringen Sie kleine Dinge leichter aus dem Konzept als gewohnt?

- Brauchen Sie länger, um ein ein schwieriges Problem in den Griff zu bekommen, als vor einem Jahr?

- Haben Sie mehr Schwierigkeiten, sich länger auf eine einzelne Sache zu konzentrieren?

Keiner dieser Fragen erscheint mir besonders spezifisch, und sehr viele werden auf mehrere "ja" antworten (ja, sogar ich muss einige bejahen), aber ich vermute, wenn fast alle davon zutreffen, dann springt man wohl kaum wie Speedy Gonzales durch die Gegend und ist dazu aufgelegt, Diätpläne einzuhalten.

Sharon zitiert mich mit den Worten:"Niemand sagt, Adipositas kommt immer von Erschöpfung, aber wenn Menschen eindeutig mehr essen als sie brauchen, lautet die Frage nicht (nur), wie man sie davon abbringt, sondern warum genau sie das tun. Vielleicht verlieren sie gerade ihren Job oder sind überarbeitet. Oder es geht um ein privates Dilemma, das einen beschäftigt. Man löst das Problem Adipositas nicht, indem man den Betroffenen ein Exemplar von Canada's Food Guide aushändigt. Sie
müssen zu verstehen versuchen, was zum Gewichtsanstieg beiträgt."

Genau das! Adipositas ist ein Symptom von Zuviel-Essen, und das wiederum ist ein Symptom, dass irgend etwas anderes im Busche ist: Es kann nicht sein, dass einfach das Wissen über gesunde Ernährung oder den Kaloriengehalt von Nahrungsmittelnt fehlt, sondern Zuviel-Essen kann auch ein Zeichen für ein emotionales Problem wie Depression oder vitale Erschöpfung sein, oder eines biologischen Hintergrundes wie eines MC-4 Rezeptordefekts, oder Folge einer Medikation wie Clozapin ... mir fallen zahllose weitere Gründe ein.

Vergessen Sie nicht: Zuviel-Essen (und/oder bewegungsarmer Lebensstil) ist keine Diagnose - Zuviel-Essen (und/oder bewegungsarmer Lebensstil) ist ein Symptom!

AMS
Edmonton, Alberta

Donnerstag, 17. Juli 2008

Arbeiten auf dem Laufband

Vor zwei Tagen erinnerte ich daran, dass die Menschen vor nicht allzu langer Zeit dafür bezahlt wurden, körperlich aktiv zu sein. Heute kostet es Geld (abgesehen von der Zeit), wenn man sich mehr Bewegen will. Die große Herausforderung lautet also: Wie soll man Bewegung in den Arbeitsplatz integrieren, so dass die Menschen wieder aktiv werden (dann können sie sich abends auch fernsehend auf dem Sofa lümmeln)?

Eine Lösung besteht darin, einen Arbeitsplatz zu schaffen, an dem man zu Bewegung kommt, während man am Computer arbeitet. Genau das ist die Idee hinter der "Walk Station", einem Schreibtisch, der mit einem Laufband anstelle eines Stuhls ausgestattet ist.

In einem Artikel des Edmonton Journal werden das Gerät, die Wissenschaft und der Hype dahinter wie folgt beschrieben: Es gestattet den Menschen am Computer zu arbeiten, während sie bei einer gemütlichen Geschwindigkeit von bis zu 3 km/h laufen. Damit erhalten sie kleine Quantitäten an Bewegung, denen ihre Befürworter einen großen gesundheitlichen Gewinn zusprechen.

Das Produkt wird von Details hergestellt, einem Unternehmen des Büromöbelherstellers Steelcase in Michigan. 30 bis 40 Einheiten verkaufen sie pro Woche, so der Vorstand Bud Klipa. Die Walk Station wurde letztes Jahr enhüllt. Sie geht auf Forschungen von James Levine, Mayo Clinic, zurück. Er argumentiert, die Fitness bewegungsarmer Menschen lasse sich durch kleine, bescheidene Bewegungseinheiten verbessern. Seine Forschungsresultate zegten, dass der Energieverbrauch um 100 kcal/h steigt, wenn man das Laufband bei einer Geschwindigkeit von 1,6 km/h nutzt, sodass auch die Gewichtsabnahme unterstützt wird.

Das Laufband, das im Basismodell um $4,500 kostet, überschreitet nie die Geschwindigkeit von 3 km/h, sodass man es mehrere Stunden am Tag einsetzen kann.

Hier sind meine Fragen dazu:

Wo ist die Evidenz, dass dieses Gerät tatsächlich Gewichsabnahme unterstützt?

Was kann verhindern, dass dieses Gerät den Weg aller anderen Arbeitsplatz-Gesundheitsinitiativen geht: Die Fitten nehmen es gern an, und die, die es am ehesten brauchen, ignorieren es?

Wird die Diskriminierung aufgrund des Gewichts am Arbeitsplatz noch zunehmen? ("Die Dünnen laufen, die übergewichtigen Leute nicht, und keiner fragt, warum nicht - Rückenschmerzen? Arthrose? Depression? Plantare Fasziitis - Ausreden!") Wen interessiert das schon?

Obwohl es auf den ersten Blick eine gute Methode zu sein scheint, um mehr Aktivität an den Arbeitsplatz zu bringen, bleibt es nutzlose Aktivität, für die man nicht extra bezahlt wird. Man muss nicht laufen, um den Job zu erledigen.

Ich selbst hätte nichts gegen einen solchen Laufbandschreibtisch, aber ich sehe alle möglichen Probleme. Hat jemand Erfahrung mit einem solchen Gerät? Es würde mich sehr interessieren, wie es die Bürodynamik beeinflusst. Ich freue mich auf Kommentare!

Ich bleibe skeptisch, ob das die Lösung ist, bis ich Daten hierzu gesehen habe.

AMS
Edmonton, Alberta

Mittwoch, 16. Juli 2008

Epikardiales Fett und Gewichtsabnahme

Vermehrtes viszerales Fett, gleichbedeutend mit "ektopischer" Fettablagerung, ist mit Insulinresistenz und erhöhtem kardiovaskulärem Risiko assoziiert.

Üblicherweise wurde der Begriff "viszerales Fett" verwendet, um das Fett innerhalb des Abdomens, im Omentum und Mesenterium, zu beschreiben. In den letzten Jahren wurde das Konzept erweitert, um auch andere ektopische Fettdepots einzuschließen, wie die in der Leber und im Herzen.

Dass das Fett, das sich epikardial ansammelt, en Marker für viszerales Fett sein kann, erkannte als Erster Gianluca Iacobellis, der vor einigen Jahren als klinischer Research Fellow in meine Arbeitsgruppe an der McMaster University eintrat und jetzt ihrer Fakultät angehört.

In der aktuellen Ausgabe von OBESITY berichtet Iacobellis über Forschungsergebnisse, die wir gemeinsam erarbeiteten, bevor ich McMaster verließ, um an die University of Alberta zu arbeiten. In dieser Arbeit zeigen wir, dass das epikardiale Fett ein sensitiver Marker für Änderungen am viszeralen Fett ist, die im Zusammenhang mit Gewichtsabnahme auftreten.

In dieser Studie bei 20 schwer adipösen Patienten, die sich einem sechsmonatigen Abnehmprogramm mit einer sehr niedrigkalorischen Diät unterzogen und darunter 20% ihres ursprünglichen Gewichts abnahmen, ging der Taillenumfang um 23% zurück und die epikardiale Fettschichtdicke um 32%.

Auf Grundlage dieses Ergebnisses schlagen wir vor, dass die echokardiographische Bestimmung des epikardialen Fetts ein zusätzliches Maß bieten kann, um das metabolische Risiko im Zusammenhang mit verschiedenen Fettverteilungen zu verstehen. Vielleicht noch wichtiger: Diese echokardiographische Beurteilung des epikardialen Fetts könnte ein einfaches und relativ preiswertes Mittel sein, um die Veränderungen im viszeralen Fett bei Gewichtsabnahme (oder -Zunahme) in der klinischen Praxis zu verfolgen.

Sicherlich übertrifft diese Methode in der Praxis die Messung des Taillenumfangs (ein relativ grobes Maß für das intraabdominelle Fett) oder die viel teurere CT- oder MRI-Untersuchung.

AMS
Edmonton, Alberta

PS Navneet Singh und Sean Wharton danke ich für ihre große Hilfe bei dieser Studie, ebenso wie allen Patienten, die für diese Messungen ihre Zeit opferten.

Dienstag, 15. Juli 2008

Nochmal: Mitochondrien und Adipositas

Vor einigen Monaten schrieb ich im Blog über die Ergebnisse einer Finnischen Zwillingsstudie. Sie fand geringere Mitochondrienzahlen und einen gestörten mitochondrialen Energiehaushalt in Fettzellen eineiiger Zwillinge, die schlanker als ihre genetisch identischen Zwillingsgeschwister waren. Diese Störungen korrelierten mit kritischen klinischen Adipositas-Befunden wie Leberfettakkumulation, verminderte Insulinsensitivität im Gesamtorganismus, Hyperinsulinämie, Hypoadiponektinämie und Adipozytenhypertrophie.

In der aktuellen OBESITY-Ausgabe berichten Tomas Gianotti und Mitarbeiter von der Universität von Buenos Aires, Argentinien, über einen signifikant niedrigeren Quotienten aus mitochondrialer DNS zu Kern-DNS (mtDNA/nDNA) bei insulinresistenten (IR) Adoleszenten, die eine Untergruppe (n=175) einer populationsbasierten Querschnittsstudie von 934 Highschool-Schülern bildeten. In dieser Studie war der mtDNA/nDNA Quotient auch invers korreliert mit dem HOMA Index, einem groben, aber einfachen Maß für die Insulinresistenz.

Diese Studie spricht sehr für die Vorstellung, dass Individuen mit Neigung zu Adipositas eine verminderte Zahl oder Funktion der Mitochondrien haben und dass dies wiederum das Adipositasrisiko erhöht.

Aus der erwähnten Zwillingsstudie wissen wir, dass eine Gewichtsabnahme die verminderte Zahl und Funktion nicht korrigiert.

Aber es stellt sich die Frage, ob die Mitochondrienzahl und -funktion durch "Verschreiben" vermehrter Aktivität beeinflusst werden kann oder nicht. Wenn ja, wie viel Aktivität wäre notwendig, um diese Änderungen rückgängig zu machen? Noch wichtiger, werden die Menschen mit beeinträchtigter Mitochondrienfunktion die vermehrte Bewegung in einem Ausmaß genießen können, dass sie diese Verordnung auch langfristig befolgen?

Vielleicht ist es nicht die Adipositas, die eine Beeinträchtigung der Mitochondrienfunktion verursacht, sondern gestörte Mitochondrienzahl und (oder ) Funktion prädisponieren zur Adipositas. Diese Störung könnte genetischer Art sein, aber auch auf intrauterine Programmierung zurückgehen oder gewissermaßen auf dem Ziehen der falschen Karte beruhen (Sie erinnern sich, sämtliche mtDNS kommt von der Mutter).

Das ist natürlich keine "Entschuldigung" für Adipositas, wie eine häufige Fehlinterpretation lautet, wenn Daten zur Genetik oder Biologie vorgestellt werden. Aber es ist klar, dass man bei verminderter Mitochondrienzahl und (oder) -Funktion viel einfacher in einer bewegungsarmen Umgebung adipös wird, als wenn physische Aktivität unverzichtbar wäre, um die Grundbedürfnisse zum Überleben zu sichern.

Die Zeiten liegen noch nicht so lange zurück, als die Menschen dafür bezahlt wurden, körperlich aktiv zu sein. Heute ist es umgekehrt. Die Wahl, körperlich aktiver zu sein, kostet Geld (ganz zu schweigen von der Zeit).

AMS
Edmonton, Alberta

Montag, 14. Juli 2008

Orlistat und Nierensteine

Orlistat ist ein gastrointestinaler Lipasehemmer, der verschreibungspflichtig unter dem Markennamen Xenical®, in manchen Ländern wie den USA auch rezeptfrei unter dem Markennamen Alli™ zur Unterstützung der Gewichtsreduktion erhältlich ist.

Orlistat ist seit fast einem Jahrzehnt auf dem Markt und wurde sehr ausführlich untersucht. Wenn es gemeinsam mit den empfohlenen Ernährungs- und Lebensstiländerungen richtig angewendet wird, trägt es ohne Frage dazu bei, einen Gewichtsverlust von etwa 5% und gleichzeitig relevante Verbesserungen kardiometabolischer Risikofaktoren (hoher Blutdruck, niedriger HDL-Spiegel, hoher Blutzuckerspiegel usw.) zu erzielen.

Wie bei allen anderen Medikamenten gegen Adipositas steigt das Gewicht jedoch in der Regel wieder an, sobald man mit der Einnahme aussetzt. Soweit nichts Neues.

Weil die Wirkung von Orlistat auf den Darm beschränkt ist (es wird nicht in nennenswerten Mengen resorbiert), wird es als eine Substanz propagiert, die keine “systemische” Wirkung hat. Die wesentlichen Nebenwirkungen werden vollständig durch den Einfluss auf die Fettverdauung erklärt und beschränken sich im Wesentlichen auf Diarrhö, Fettstuhl und abdominelles Missempfinden – unerfreulich, aber sicher kein Anlass für gesundheitliche Bedenken.

Auch eine gewisse Interferenz mit der Absorption fettlöslicher Vitamine (ADEK) ist gegeben. Aber das sollte bei einer gesunden, ausgewogenen Diät oder unter einer vernünftigen Einnahme von Vitaminsupplementen kein Problem sein. Allerdings ist ein signifikanter Einfluss auf fettlösliche Komedikationen (wie Ciclosporin A) zu bedenken. Wenn Patienten diese Medikamente einnehmen, können Dosisanpassungen notwendig werden.

Das alles ist bekannt, sehr gut untersucht und hat auf die meisten Patienten keine nennenswerten Auswirkungen.

Aber an eine Nebenwirkung sollte man bei Patienten, die zur Nierensteinbildung leiden denken. Eine gewisse Möglichkeit besteht, dass Orliastat die Oxalatausscheidung im Urin erhöhen kann, und das wiederum kann potenziell die Bildung von Oxalatsteinen fördern. Jeder, der einmal eine Nierenkolik erlebt hat, weiß, dass man diese Situation zukünftig lieber vermeidet.

Die Ursache dieser potenziellen Nebenwirkung liegt in der einfachen Tatsache, dass (aufgrund der Orlistat-Wirkung) nicht absorbiertes Fett und Gallensäuren im intestinalen Lumen mit Kalzium reagieren können. Dadurch sinkt die Kalziummenge, die Oxalat binden kann, und die intestinale Oxalatresorption steigt an. Das führt zur Hyperoxalurie, und diese wiederum fördert die Bildung von Oxalatsteinen.

Diese zwar komplex erscheinende, aber ziemlich einfache Tatsache wurde erstmals auf Grundlage eines deutlichen Anstiegs der Urinoxalatexkretion bei Ratten beschrieben, welche in einer Studie von Renato Ribeiro Ferraz und Mitarbeitern der Universidade Federal de São Paulo (KIDNEY INTERNATIONAL, 2004) Orlistat und eine fettreiche Ernährung erhalten hatten.

Im Jahr 2007 beschrieben Ashutosh Singh und Mitarbeiter der University of Tennessee die Kasuistik einer Frau mit Nierenkrankheit, die unter der Einnahme von Orlistat eine akute Oxalatnephropathie entwickelte (Am J Kidney Dis). Das Urinsediment ließ reichlich Kalziumoxalatkristalle erkennen, und die 24-Stunden-Oxalatkonzentration im Urin war signifikant erhöht. Ein Nierenbiopsat ließ die Ablagerung von Kalziumoxalatkristallen im Lumen der Tubuli erkennen. Eine Biopsie, die einen Monat nach Beenden der Orlistat-Therapie vorgenommen wurde, zeigte keine Zeichen von Oxalat mehr, und die Nierenfunktion erholte sich langsam zum Ausgangswert.

In der Juliausgabe von OBESITY berichten jetzt Kemal Sarica und Mitarbeiter vom Memorial Hospital in Istanbul, Turkei, Daten aus einer Studie bei 95 adipösen Patienten (57 Männer, 38 Frauen) die randomisiert einer sechsmonatigen Behandlung mit Orlistat oder keinen spezifischen Medikation zugeordnet wurden. In der Behandlungsgruppe ließen zwei Drittel der Patienten einen deutlichen Anstieg der Urinoxalatexkretion nach drei Monaten erkennen, die im Wesentlichen auch nach sechs Monaten noch bestand. Obwohl keine Nierensteine beobachtet wurden, kommentieren die Autoren, dass der Anstieg der Oxalatexkretion ausreichend hoch war, um bei entsprechend prädisponierten Patienten eine Steinbildung auszulösen.

Hier zeichnet sich nichts Dramatisches ab – so lange man kein erhöhtes Risiko für Oxalat-Nierensteine hat. Wenn das der Fall ist, sollte man vielleicht am besten auf Orlistat verzichten oder die gleichzeitige Aufnahme oxalatreicher Nahrungsmittel wie Rhabarber, Spinat, Erdbeeren, Schokoloade, Weizenkleie, Nüsse, Rote Bete und Tee reduzieren und reichlich Wasser trinken.

AMS
Edmonton, Alberta

Freitag, 11. Juli 2008

Erschöpfung fördert Gewichtszunahme

Wir wissen, dass Stress, Zeitmangel, niedriger sozioökonomischer Status, geringe Kontollüberzeugung und Schlafmangel die Adipositas fördern, aber es gibt noch einen neuen Faktor (zumindest für mich): vitale Erschöpfung.

Der Begriff Vitale Erschöpfung (Vital Exhaustion, VE) ist durch drei Charakteristika definiert: (1) das Gefühl exzessiver Müdigkeit und ausgeprägten Energiemangels, (2) vermehrte Reizbarkeit und (3) ein Gefühl der Demoralisierung.

Man schreibt diese Gefühle oft einer Überarbeitung oder Problemen im Zusammenhang mit der Arbeit oder in anderen wichtigen Lebensbereichen zu, welche der Betreffende nicht lösen konnte, oder einem realen oder symbolischen Verlust. Deshalb wurde vorgeschlagen, mit VE einen mentalen Zustand zu beschreiben, in den Menschen geraten, wenn ihre Ressourcen zur Stressadaptation erschöpft sind.

Jetzt untersuchten Maria Bryant und Mitarbeiter von der University of Leeds, UK, in einer aktuell in OBESITY erschienenen Arbeit die Beziehung zwischen VE und BMI. Es handelt sich um eine Querschnittsstude mit drei und sechs Jahren Nachbeobachtung bei den 13,727 Teilnehmern der Atherosclerosis Risk in Communities (ARIC)-Studie.

Der BMI war bei kaukasischen und afroamerikanischen Männern und Frauen in der höchsten VE-Quartile im Vergleich signifikant höher als bei den Teilnehmern ohne VE. Auch eine deutliche VE zu Studienbeginn war mit einem höheren BMI drei und sechs Jahre später assoziiert. Die VE zu Studienbeginn sagte spätere exzessive Gewichtszunahme bei kaukasischen Männern und Frauen voraus, nicht jedoch bei Afroamerikanern.

Wenn diese Beziehung kausal ist, dann kann es den Menschen helfen, die Adipositas zu reduzieren oder ihr vorzubeugen, indem man die zur VE beitragenden Faktoren identifiziert und sie therapeutisch angeht. Das ist natürlich einfacher gesagt als getan.

Jeder, der glaubt, wir können die Adipositas-Krise dadurch lösen, dass wir den Patienten Diätpläne aushändigen und sie um den Block jagen, macht sich nur selbst etwas vor.

AMS
Edmonton, Alberta

Donnerstag, 10. Juli 2008

Wie viel Eiweiss reicht?

Die empfohlene tägliche Aufnahme (Recommended Dietary Allowance [RDA]) legt den geschätzten minimalen durchschnittlichen Bedarf zugrunde, der den Nährstoffbedarf von nahezu allen (~97%) Gesunden deckt.

Laut dieser Empfehlung beträgt die RDA für Eiweiß 0.8 g/kg/d.

Wie ein aktueller Kommentar von Robert Wolfe und Sharon Miller, University of Arkansas, in der JAMA-Ausgabe vom 25. Juni betont, führt aber der Begriff “empfohlene tägliche Aufnahme” in die Irre, weil er oft als "optimaler" statt als "minimaler" Bedarf fehlgedeutet wird.

Der Kommentar illustriert dies an einem Beispiel: Errechnet man den Proteinbedarf als den Anteil, den er an der Gesamtenergiemenge haben sollte [z.B. 10 bis 35%], dann entsprechen 10% des Energiebedarfs als Protein für einen 70 kg-Mann mit einem täglichen Bedarf von 3067 kcal einer Eiweißaufnahme von 0.95 g/kg/d. 35% des Gesamtenergiebedars als Protein entsprechen für diesen Mann sogar 3.3 g/kg pro Tag. Diese Werte liegen deutlich höher als die empfohlene tägliche Aufnahme.

Wie im Blog nachzulesen, wird das Thema Proteinaufnahme noch komplizierter, wenn es darum geht, unter einer kalorienreduzierten Diät für ausreichend Eiweiß zu sorgen, denn das ist wichtig für den Erhalt der Muskelmasse, -kraft und -funktion. Das bedeutet, dass kalorienreduzierte Diäten mindestens eine Proteinaufnahme am oberen Ende der empfohlenen täglichen Zufuhr liefern müssen, also etwa 35% der Gesamtkalorienaufnahme, und die Eiweißzufuhr sollte eher auf der zu hohen statt auf der zu niedrigen Seite liegen.

Eine ausreichende Proteinaufnahme zu erhalten ist umso wichtiger, als engmaschige Kontrollen der Körperzusammensetzung, die einen dysproportionalen Verlust an fettfreier Körpermasse unter dem Gewichtsverlust nachweisen könnten, kein Bestandteil der Routinekontrollen in der Adipositas-Therapie sind.

Vielleicht sollte der Begriff "empfohlene tägliche Aufnahme" durch den Begriff "minimaler täglicher Bedarf" ersetzt werden, wie Wolfe und Miller empfehlen. Damit würde die funktionelle Definition der RDA besser wiedergegeben, und Unklarheiten hinsichtlich der richtigen Proteinaufnahme wären damit vermieden.

AMS
Edmonton, Alberta

Mittwoch, 9. Juli 2008

Kein Essen für die Faulen!

Gestern berichteten die Zeitungen in großer Aufmachung, dass der Vorsitzende der britischen Konservativen, David Cameron, an die adipösen Mitbürger, die Müßiggänger und sogar die Armen appelliert hat, mehr Eigenverantwortung für
ihre Misere zu übernehmen.

Laut Cameron ist die Gesellschaft "viel zu sensibel" gegenüber den Gefühlen der Menschen geworden. Keiner sei mehr bereit, zu sagen, "was gesagt werden muss". "Wir sprechen über Leute "mit erhöhtem Risiko für Adipositas" statt über Leute, die zu viel essen und sich zu wenig bewegen."

Große Worte! Also alle dicken Leute essen zu viel und sind faul - geschieht ihnen recht! Mit anderen Worten, Schluss mit Hätscheln und Tätscheln, und auf keinen Fall sollen sie irgendwelche medizinische Leistungen für ihre missliche Lage beanspruchen dürfen.

Perfekt! Als nächstes entziehen wir den Rauchern, die einen Herzanfall oder Krebs bekommen, jede Gesundheitsdienstleisung. Keine unfallchirurgische Versorgung mehr für jemanden, der zu schnell fuhr oder - Gott behüte - überfahren wurde, weil er dumm genug war, eine Strasse zu überqueren. Keine Leistung mehr für den, der an der Grippe erkrankt ist und sich nicht hat impfen lassen, und keine medizinischen Geschenke mehr an alle, die sich beim Sport den Knöchel verstaucht haben. Auf gar keinen Fall mehr medizinische Hilfe für die ganzen Lebensstil-Krankheiten wie Diabetes, Hypertonie, hohen Cholesterinspiegel Osteoporose, Arthrose und Rückenschmerzen.

Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied und hat sein Schicksal selbst in der Hand.

Vielen Dank, Herr Cameron, dass Sie endlich einmal gesagt haben, was gesagt werden musste.

Bekommt von diesen Äußerungen jemand Depressionen? Reißen Sie sich doch einfach mal zusammen!

AMS
Edmonton, Alberta

Dienstag, 8. Juli 2008

Proconvertase-Gen mit Adipositas assoziiert

Wie Zwillingsstudien eindeutig gezeigt haben, ist Adipositas eine der am stärksten erblich beeinflussten Konditionen. Aber bislang wurde nur eine Handvoll Gene identifiziert, die in der üblichen Streubreite der Adipositasformen eine Rolle spielen, also nicht nur bei den seltenen monogenen Formen.

Ein großes Forscherteam unter Leitung von Philippe Froguel (Bild), an dem Wissenschaftler aus Frankreich, Dänemark, Schweden, Deutschland und Großbritannien beteiligt sind, berichtet diese Woche in Nature Genetics, dass relativ häufige Varianten des PCSK1 Gens mit einem höheren BMI assoziiert sind. Es kodiert das Enyzm Proconvertase.

Dieses Enzym ist dafür verantwortlich, voll funktionierende Versionen von Hormonen wie Insulin und Glucagon zu bilden, also Hormone mit zentraler Rolle im Kohlenhydratstoffwechsel, und auch Melanocortin, einen entscheidenden Regulator für das Sättigungsgefühl.

Obwohl die identifizierten Varianten des PCSK1-Gens nur relativ geringe Funktionsänderungen im Enzym bewirken, ist der Effekt auf die entsprechenden Hormone signifikant.

Offensichtlich kann kein einzelnes Gen oder eine Variante davon für sämtliche Formen der Adipositas verantwortlich sein, und es gibt auch keinen Grund anzunehmen, dass jede Adipositas gleich ist. Eher beruht die Erblichkeit der Adipositas auf der Verteilung einer großen Zahl von Varianten verschiedenster Gene in der Bevölkerung.

Wann werden wir in unseren Adipositas-Kliniken mit Gentests beginnen? Noch eine ganze Weile nicht, vermute ich – erst dann, wenn wir tatsächlich zeigen können, dass spezifische Gene auch bessere (oder schlechtere) Resultate zielgerichteter Adipositas-Therapien voraussagen können.

Bei Nacht sind alle Katzen grau.

AMS
Edmonton, Alberta

Montag, 7. Juli 2008

Deutschland erwacht zum Thema Adipositas

Wie in anderen europäischen Ländern, wird die Adipositas auch in Deutschland immer häufiger. Laut Regierungsstatistik sind zwei Drittel aller deutschen Männer zwischen 18 und 80 Jahren übergewichtig, und fast die Hälfte aller Frauen hat ein Gesichtsproblem. Das bedeutet, dass etwa 37 Millionen Erwachsene und 2 Millionen Kinder und Teens in Deutschland an gewichtsassoziierten Störungen leiden.

Als Reaktion darauf hat die deutsche Regierung unter Gesundheitsministerin Ulla Schmidt in Zusammenarbeit mit Horst Seehofer, Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eine neue Adipositas-Initiative lanciert. Das Ziel des Programms besteht darin, bis zum Jahr 2020 die mit Adipositas assoziierten Krankheiten drastisch zu senken. Für die nächsten zwei Jahre sind Ausgaben von 30 Millionen Euro dafür vorgesehen.

Wie auch anderswo erkennt auch in Deutschland die Regierung, dass die Epidemie nicht nur das Ergebnis von ungünstigen Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsmangel ist, sondern auch Folge weitreichender sozialer und infrastruktureller Faktoren. Daher appelliert das Programm an Politiker, Wissenschaftler, Gesundheitsversorger, Verbände und die Nahrungsindustrie, dazu beizutragen, eine gesündere Lebensweise zu vermitteln und zu fördern. Nicht überraschend enthält das Paket folgende Ideen: Erziehung in Richtung gesünderen Essens und körperlicher Aktivität, strengere Standards in der Schulernährung, bessere Nährstoff- und Produktinformation durch die Nahrungsmittelindustrie, eingeschränkte Werbung von Süßigkeiten- und „Junk Food“-Herstellern an die Zielgruppe Kinder, also insgesamt die übliche Liste von Initiativen.

Wie auch anderswo ignoriert aber auch in Deutschland die Regierung weitreichend eine wesentliche Konsequenz aus der Tatsache, dass 37 Millionen Deutsche schon mit dieser chronischen Krankheit leben, dass dies nämlich umgehend einen verbesserten Zugang zu evidenzbasierten Adipositas-Behandlungen erfordert, und hierzu müssen gleichzeitig die Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Wie in den meisten anderen Ländern (mit der bemerkenswerten Ausnahme Großbritannien) bleibt der Zugang zu einer professionellen Adipositas-Behandlung auf eine lächerlich kleine Zahl von Individuen beschränkt, überwiegend auf solche, die sich das als privat bezahltes Angebot leisten können.

Wie ich in meinem Blog schon angesprochen habe: Dass man die Adipositas-Prävention fördert (und hofft, dass dies auf fruchtbaren Boden fällt) sollte keine Entschuldigung dafür sein, dass man den Menschen die Adipositas-Behandlung vorenthält, die davon schon betroffen sind.

AMS
Edmonton, Alberta

Bild: Rainer Zenz

Freitag, 4. Juli 2008

Sagt das metabolische Syndrom Herzkrankheiten voraus?

Das Metabolische Syndrom oder Syndrom X, vor kurzem auch “Xyndrome” getauft, ist die Kombination aus

• abdominal betonter Adipositas
• hohen Triglyceridspiegeln
• niedrigem HDL-Cholesterinspiegel
• Hypertonie
• erhöhten Nüchtern-Blutzuckerspiegeln

Dieses Konzept wurde breit als ein Mittel propagiert, um klinisch Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko zu identifizieren.

Während das Konzept intuitiv vernünftig erscheint (da alle fünf Komponenten des Syndroms einzeln mit einem gesteigerten kardiovaskulären Risiko korreliert wurden), reißt die Diskussion nicht ab, ob das Konzept dieses “Syndroms” Risikopatienten besser identifizieren kann, als wenn man beim Patienten nach den einzelnen Risikofaktoren sucht.

Um zu klären, ob das "metabolische Syndrom" tatsächlich ein Risikofaktor für Herzkrankheiten ist, untersuchten Naveed Sattar und Mitarbeiter von der University of Glasgow die Beziehung zwischen dem metabolischen Syndrom und der Inzidenz von kardiovaskulären Krankheiten und Typ-2-Diabetes bei 4812 nichtdiabetischen Personen zwischen 70 und 82 Jahren aus der Prospective Study of Pravastatin in the Elderly at Risk (PROSPER). Sie untermauerten diese Daten mit einer zweiten prospektiven Studie (the British Regional Heart Study [BRHS]) bei 2737 nichtdiabetischen Männern zwischen 60 und 79 Jahren (The Lancet).

In PROSPER war das metabolische Syndrom über 3,2 Jahre nicht mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert, jedoch mit einem vierfach erhöhten Risiko für Diabetes. Ein erhöhter Nüchternglukosespiegel war indessen mit einem 18-fach erhöhten Risiko für Diabetes erhöht..

Ähnlich war auch in BRHS das metabolische Syndrom nur gering mit kardiovaskulärer Krankheit assoziiert, trotz einer starken Korrelation zu Diabetes.

Bedeutsam erscheint, dass in beiden Studien der Body Mass Index, der Taillenumfang, der Triglyceridspiegel und erhöhte Glucosewerte ebenfalls nicht mit einem Risiko für kardiovaskuläre Krankheit assoziiert waren, aber alle fünf Komponenten gingen mit einem erhöhten Risiko für Neuauftreten eines Diabetes mellitus einher.

Die Autoren schließen, dass das metabolische Syndrom und seine Komponenten zwar mit Typ-2-Diabetes assoziiert sind, dass aber nur eine schwache bis keine Korrelation mit dem Gefäßrisiko besteht – bei älteren Individuen. Sie empfehlen, das klinische Augenmerk weiterhin darauf zu richten, optimale Risikoalgorithmen gemäß jedem einzelnen Risikofaktor zu etablieren, statt sie in einem vermeintlichen Syndrom zu vermengen.

Man könnte natürlich argumentieren, dass das Konzept des metabolischen Syndroms vielleicht bei jüngeren Individuen noch nützlich sein könnte. Aber die gleiche und andere Arbeitsgruppen konnten auch bei Jüngeren nicht zeigen, dass das metabolische Syndrom ein starker Prädiktor für Herzkrankheiten ist, wie die Diskussion der Arbeit erwähnte.

Ob das Konzept des metabolischen Syndroms hilfreich ist oder nicht, man sollte daran denken, dass das Management der Adipositas die einzige Intervention ist, die auf alle fünf Komponenten des Syndroms gleichzeitig günstige Auswirkungen entfaltet. Während die konventionelle Versorgung darauf ausgerichtet ist, aggressiv die einzelnen Risikofaktoren ins Visier zu nehmen, wird nur aggressive Adipositas-Therapie alle Aspekte dieses vermuteten Syndroms verbessern.

Leider fehlen uns mit Ausnahme der Adipositas-Chirurgie immer noch Outcome-Studien, die zeigen, dass die Adipositas-Behandlung tatsächlich die kardiovaskuläre Mortalität senkt.

Die Annahme, dass eine Gewichtsabnahme ohne Chirurgie Leben rettet, basiert nicht auf harter Evidenz aus randomisierten kontrollierten Studien. Ich vermute, dass bis zum Vorliegen besserer Daten Ärzte, Kostenträger und Politiker weiter in Frage stellen, dass die Therapie der Adipositas (mit den gleichen Ressourcen und dem gleichen persönlichen Einsatz wie bei anderen chronischen Krankheiten!) Nutzen bringt.

AMS
Edmonton, Alberta

Donnerstag, 3. Juli 2008

Trendz im Cafeteria-Essen

Gestern habe ich in der Cafeteria des Glenrose Rehabilitation Hospital gerade gegenüber von meinem Büro im Royal Alexandra Hospital aus zu Mittag gegessen.

Die Cafeteria basiert auf der Philosophie von Capital Healths Healthy Choice Trendz™. Es umfasst ein Bistro-Konzept, das eine gesunde Auswahl ganz einfach macht. Weit und breit gibt es nicht den Hauch von Friteuse (eine Rarität für Nordamerika), und nach ungesundem Zeug muss man richtig suchen.

Die Standard-Fleischportionen sind kleiner, dafür kommen üppige Portionen mit Wok-Gemüse (kein Öl!) und gerösteten Kartoffeln auf den Teller. Suppen gibt es in salzärmeren Versionen. Man findet sogar Biscuits mit wenig Fett, und Brot ist mit Vollkorn gebacken.

Am Kaffeeautomaten gibt es die Auswahl an 2% fetthaltiger Milch und entrahmter Milch. Nach Sahne muss man extra fragen. Klar, es gibt auch ein paar ungesündere Angebote wie Softdrinks, aber ganz vorn stehen Wasser und Fruchtsaft. Für die Softdrinks muss man sich bücken.

Es ist gar kein Problem, hier ein gesundes Mittagessen zu bekommen. Wenn man es unbedingt will, findet man auch Dinge, um die man lieber einen Bogen schlagen sollte, aber das wird einem nicht einfach gemacht.

Die Leute von Capital Health, die das “Healthy Trendz”-Konzept entwickelt haben und gerade in allen Verkaufsstellen einführen, sind nicht nur von diesem Konzept einfach überzeugt, sondern haben mir auch versichert, dass ein gesundes Angebot sogar profitabel ist.

Hoffentlich dauert es nicht lange, bis sich dieses Angebot über die Region und ihre Grenzen hinaus verbreitet hat.

AMS
Edmonton, Alberta

PS Das Bild stellt nicht genau das Gericht dar, das ich genossen habe, aber es kommt dem sehr nahe.

Mittwoch, 2. Juli 2008

Kein Eiweiß-Geiz!

Für jeden, der abzunehmen versucht, ist es immer eine Herausforderung, den fast obligatorischen Rückgang an fettfreier Körpermasse zu verhindern. Wenn der Körper leichter wird, geht auch die „gewichtstragende Arbeit“ zurück, wodurch die Muskelmasse schrumpft. Aber auch die Empfehlung der meisten Diäten, im Sinne der Ausgewogenheit die Eiweißaufnahme zu senken, kann den Proteinkatabolismus fördern.

Der Skelettmuskel bestimmt den Energieverbrauch maßgeblich. Daher kann der Verlust an Muskelmasse den Gewichtserfolg beim Abnehmen, der aufgrund eines gegebenen Kaloriendefizits zu erwarten wäre, limitieren. Es kommt zu einem frühen Plateau. Da außerdem fettfreie Körpermasse bei Gewichtsanstieg eher durch Fett ersetzt wird ((catch-up fat), endet das in einer noch größeren Fettmasse als vor der Diät.

Wie wichtig es ist, die Proteinversorgung während eines diätetisch herbeigeführten Gewichtsverlusts auf einem ausreichenden Niveau zu halten, zeigte wieder eine aktuelle Studie. Melanie Bopp und Mitarbeiter von der Wake Forest University School of Medicine in Winston-Salem publizierten sie im Journal of the American Dietetic Association.

Die Autoren untersuchten die Assoziation zwischen der Proteinaufnahme und dem Verlust an fettfreier Körpermasse während der Gewichtsabnahme bei Frauen in der Postmenopause anhand einer retrospektiven Analyse einer 20-wöchigen randomisierten kontrollierten Intervention, die auf kontrollierter Diät und Bewegung bei Frauen zwischen 50 und 70 Jahren basierte. Die Abnahme wurde durch Kalorienrestriktion und Bewegung auf verschiedenen Stufen erreicht. Die reine Diätgruppe senkte die Kalorienaufnahme um 2800 kcal/Woche, die Bewegungsgruppe um 2400 kcal/Woche bei zusätzlichem Verbrauch von 400 kcal/Woche durch aerobe Übungen.

Die fettfreie Körpermasse wurde mit DEXA bestimmt. Der durchschnittliche Gewichtsverlust betrug 10.8+/-4.0 kg, wobei durchschnittlich 32% des Gesamtgewichtsverlustes auf das Konto eines Verlusts an fettfreier Körpermasse gingen. Während die Proteinaufnahme durchschnittlich 0.62 g/kg Körpergewicht/Tag (von 0.47 bis0.8 g/kgKG/Tag) betrug, verloren die Teilnehmerinnen, die mehr Protein verzehrten, weniger fettfreie Körpermasse. Diese Beziehung blieb signifikant, auch nach Korrektur hinsichtlich Interventionsart und Körpergröße.

Die Autoren schließen, dass die mangelhafte Proteinaufnahme während einer Kalorienrestriktion unerwünschte Änderungen der Körperzusammensetzung bei Frauen in der Postmenopause bewirken kann.

Ich möchte ergänzen, dass das Gleiche wahrscheinlich für jeden gilt, der mit einer Diät abnimmt, die nicht für eine ausreichende Proteinaufnahme sorgt.

AMS
Edmonton, Alberta

Dienstag, 1. Juli 2008

Flüssige Kalorien zählen auch!

Gestern erschien in Edmonton Sun ein ganzseitiges Feature über mich, weil man es außergewöhnlich fand, dass ich im autoverliebten Alberta mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre.

Natürlich erwähnt der Beitrag auch die obligatorischen Tipps von Dr. Sharma, an erster Stelle: Vorsicht mit den flüssigen Kalorien in Saft, Softdrinks oder Alkohol – wenigstens sollte man sie als Teil der Mahlzeit mitzählen, weil sie sich rasch summieren.

Wie auf Verabredung veröffentlichte die Consumer Federation of America (CFA) gestern in einem Versuch, die Lücke in der Verbraucherinformation über flüssige Kalorien zu füllen, Fakten zu Alkohol (Alcohol Facts), eine Übersicht über den Alkohol-, Kalorien- und Kohlenhydratgehalt der beliebtesten 26 inländischen und importierten alkoholischen Getränkemarken, die in den USA verkauft werden.

Alcohol Facts zeigt signifikante Unterschiede im Kalorien- und Kohlenhydratgehalt für Bier, Wein und Spirituosen, sowohl bezüglich Kategorie als auch zwischen den Marken.

* Unter Spirituosen reichte der Kaloriengehalt pro Einheit (1,5 oz = 42,6 ml) von 86 kcal für Rum bis 120 kcal für Gin. Der Durchschnitt (ohne Mixgetränke) lag bei 98 kcal pro Einheit;

* Für Wein variierte der Kaloriengehalt für eine Einheit (5 oz. = 142 ml) von 105 kcal für einen Merlot bis 125 kcal für einen Cabernet Sauvignon. Der Durchschnitt lag bei 118 kcal pro Einheit (entsprechend 207 kcal für 0,25 l).

* Die größte Kaloriendifferenz gab es bei Bier und Malzgetränken. Leichte Biere (5 Marken) brachten im Durchschnitt 100 kcal pro 340 ml, reguläre Biere 140 kcal und Malzgetränke zwischen 190 und 241 kcal pro Einheit (340 ml).

* Beim Kohlenhydratgehalt gab es die größten Unterschiede. Während die Spirituosen kohlenhydratfrei sind, enthält Wein zwischen 0.8 g pro 142 ml bei Chardonnay und 5.0 g bei Cabernet Sauvignon. Bei Bieren und Malzgetränken reichte der Kohlenhydratgehalt von 3.2 g pro 340 ml bis 38 g für ein aromatisiertes Malzgetränk.

Das CFA befürwortet Kalorienangaben auf alkoholischen Getränken. Im Augenblick sind die Angaben auf den Alkoholgehalt in % beschränkt. Um daraus die Kalorien zu errechnen, muss man erst errechnen, wie viel Gramm Alkohol pro Einheit enthalten sind, und dies mit 7 multiplizieren, aber dann fehlen immer noch die Kalorien aus den Kohlenhydraten. Wenn man diese nicht kennt, ist es dem Verbraucher praktisch unmöglich, den Kaloriengehalt selbst auszurechnen.

Aus meiner eigenen Praxis kann ich nur versichern, dass es nicht besonders ungewöhnlich ist, dass Patienten regelmäßig die Hälfte ihrer Kalorien mit Getränken einschließlich Alkohol konsumieren.

Die Kalorien auf Alkoholflaschen auszuzeichnen hält die Leute vielleicht nicht vom Trinken ab, aber wenigstens können sie dann diese Kalorien in ihren Tagesbedarf einrechnen.

AMS
Edmonton, Alberta