Montag, 21. Juli 2008

Fördern Job-Wellnessprogramme die Diskriminierung?

Die Adipositas-Epidemie kostet die Arbeitgeber Geld. Dieses Jahr schätzte die Non-Profit Organisation Conference Board, dass adipositaskorrelierte Gesundheitsprobleme US-amerikanische Firmen 45 Milliarden Dollar jährlich kosten, durch Gesundheitsausgaben und Fehltage – mehr als Rauchen oder Alkohol.

Arbeitgeber und Krankenversicherer haben - kaum überraschend - schon lange erkannt, wie wichtig es ist, Angestellte in Richtung von Wellness-Bemühungen zu unterstützen oder sie gar damit zu „verwöhnen“. Dieser Gedanke liegt nahe: Gesündere Angestellte sind produktiver – eine gute Investition für jede Firma.

Aber wie bei jeder guten Idee liegt der Teufel im Detail. Die gesetzlichen Grenzen für gutgemeinte Wellness-Programme (besonders, wenn sie von Krankenversicherern und Kostenträgern gefördert werden) diskutieren Michelle Mello und Meredith Rosenthal von der Harvard School of Public Health in der Ausgabe des New England Journal of Medicine vom 10. Juli.

In ihrer Analyse konzentrieren sich Mello und Rosenthal auf den Einfluss der Antidiskriminierungsklauseln des US Health Insurance Portability and Accountability Act (HIPPA) of 1996, das Krankenkassen und Gruppenversicherer verbietet, auf Grundlage eines Gesundheitsfaktors zu diskriminieren.

Die allgemeine Regel besteht darin, dass niemand allein aufgrund seines Gesundheitszustandes, der genetischen Anamnese, des Nachweises der Versicherbarkeit, aufgrund einer Behinderung oder früher geltend gemachter Leistungen aus einer Gesundheitsversorgung ausgeschlossen werden oder mit höheren Beiträgen belastet werden kann als eine andere „ähnlich situierte“ Person. In diesem Kontext bezieht sich „ähnlich situiert“ nur auf eine Klassifikation auf Grundlage der Beschäftigung wie Vollzeit oder Teilzeit, nicht auf Gesundheitsfaktoren.

Im Ergebnis können Krankenversicherungen nur dann die Erstattung bei bestimmten Krankheiten oder Bedingungen ablehnen, wenn dies für alle „ähnlich situierten“ Individuen zutrifft. Diese Entscheidung basiert nicht darauf, ob die Menschen diese Gesundheitssituation tatsächlich haben oder nicht.

HIPAA soll Gesundheitsdiskriminierung verhindern, aber es erlaubt Versicherern, Mitglieder für die Teilnahme an gesundheitsfördernden Programmen zu belohnen, z.B. mit reduzierten Beiträgen, Rückzahlungen usw., aber nur so lange diese Belohnung allen Mitgliedern offen steht, also unabhängig davon, ob sie ein aktuelles Gesundheitsproblem haben. HIPAA erschwert es jedoch, diese Belohnungen daran zu knüpfen, dass ein individuelles Gesundheitsziel erreicht wird. So erlaubt es die Belohnung der Teilnahme, auch ohne jeglichen Erfolg.

In den seltenen Fällen, in denen Versicherer die Belohnung doch vom Erreichen eines Ziels abhängig machen, sind wichtige Restriktionen vorgesehen. In Fällen, in denen es aufgrund eines medizinischen Sachverhaltes „unverhältnismäßig schwierig“ oder „medizinisch nicht ratsam“ ist, dass eine Person den Gesundheitsstandard erzielt, muss ein angemessener alternativer Standard angeboten werden.

Mello und Rosenthal weisen darauf hin, das Problem mit dieser Restriktion bestehe darin, dass keine Definition der „medizinischen Bedingung“ gegeben wird. Ob von jemandem mit Übergewicht oder Adipositas erwartet werden kann, ein Zielgewicht zu erreichen, hängt völlig davon ab, ob man das vorbestehende übermäßige Gewicht als einen „medizinisch relevanten Sachverhalt“ definiert oder nicht. Das lässt die Tür weit offen für eine Diskriminierung aufgrund des Gewichts. Natürlich ist es für jemanden mit wenig Übergewicht viel einfacher, ein willkürlich festgelegtes „Idealgewicht“ zu erreichen als für jemanden, der viel abnehmen muss – und noch dazu steigt die Schwierigkeit exponentiell, das verlorene Gewicht zu halten, je mehr man abgenommen hat.

Ob Übergewicht bei einem bestimmten Menschen genetisch, psychisch, durch Komorbiditäten oder gewichtssteigernde Medikamente verursacht wurde oder einfach aufgrund ungünstiger Wahl oder Bequemlichkeit, wird wohl weiterhin diskutiert werden.

Für mich liegt das Problem nach wie vor darin, dass Arbeitgeber, Versicherer und Politiker darauf abzielen, Veränderungen beim Einzelnen bewirken zu wollen, statt die Gesellschaft insgesamt in Richtung eines gesünderen Lebensstils für jeden einzelnen zu bewegen.

Bei der gegebenen multidimensionalen soziokulturellen, psychologischen und biomedizinischen Natur der Adipositas ist es müßig, die „Henne oder Ei“-Frage zu diskutieren, und schlicht unmöglich, den einen primären Kausalfaktor herauszufinden.
Vielleicht besteht eine Lösung darin, das Gewicht als Gesundheitsmaß auszuklammern – sowohl als einen Risikofaktor als auch als ein Ziel.

Wie ich schon wiederholt diskutiert habe, kann Gesundheit über einen erstaunlich weiten Bereich des Körpergewichts bestehen, und es gibt eine große Streubreite in der individuellen Anfälligkeit gegenüber „gewichtskorrelierten“ Gesundheitsproblemen. Es gibt keine Schwelle, die für jeden richtig ist – wir haben keine Ahnung, worin ein gutes Gewichtsziel besteht, weil unsere Definitionen für ein gesundes Gewicht vollständig über Komorbiditäten und/oder funktionale Einschränkungen bei einem Individuum definiert sind oder durch versicherungsmathematische Morbiditäts- und Mortalitätsstatistiken, die umgekehrt bei Individuen nicht besonders hilfreich sind.

Ich beneide die Gesetzgeber und Politiker nicht, die dieses komplexe Thema in geltendes Recht umsetzen müssen. Ich bin froh, dass ich nur ein einfacher Kliniker bin, der Patienten hilft, ihre Adipositas zu besiegen, Schritt für Schritt.

Ich freue mich auf Kommentare über die Gesundheitsförderung und Wellness am Arbeitsplatz und den gesetzlichen Rahmen in Kanada (oder den deutschsprachigen Ländern).

AMS,
Edmonton, Alberta

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